Im Vorhaben wurden die Perspektiven von Studentinnen aus nicht-technischen Fächern zum Ausgangspunkt gemacht, um konkrete Beratungsangebote für ihre persönliche wie berufliche Orientierung zu konzipieren sowie Lehrveranstaltungen umzusetzen, die sie auf ein technisches Studium vorbereiten sollten. Zwei Kohorten mit Studentinnen aus nicht-technischen Fächern konnten jeweils in Bremen und Hamburg innerhalb der Projektlaufzeit gebildet werden; im Anschluss sollten sie möglichst als Gruppe in ein ingenieurwissenschaftliches oder ein Informatikstudium eintreten.
Diese Vermittlungsstruktur zwischen nicht-technischen und technischen Fächern war anhand eines vermuteten Entscheidungswegs der teilnehmenden Studentinnen zu Grunde gelegt worden:
Es wurde deutlich, dass in der ersten Kohorte Studentinnen überwiegend aus dem Masterstudium gewonnen wurden und das breitere Erreichen von am Fachwechsel interessierten Bachelorstudentinnen nach längerer Projektlaufzeit erfolgte.
Ergänzungsstudium / Zusatzqualifikationen als Ziel
Alle Teilnehmerinnen besuchten das jeweils halbjährliche Programm mit zusätzlichen Lehrangeboten und begrüßten diese Ergänzung zu ihrem aktuellen Fachstudium, zugleich strebten sie aber nach Besuch des Kursprogramms aus dem Verbundprojekt zunächst den Abschluss ihres aktuellen Studiums an.
Dies hatte für das Verbundvorhaben zur Folge, dass die Entscheidungszeiträume länger und der Studieneinstieg in die technischen Fächer erst später möglich wurden. Somit startete aus der ersten Gruppe von teilnehmenden Studentinnen erst zum Wintersemester 2019/2020 mit einem technischen Zweitstudium (die Projektlaufzeit endete im Januar 2020).
Die Studentinnen durchliefen als Gruppen Maßnahmen, die zur vertieften Beschäftigung mit Themen aus der Informatik und den Ingenieurwissenschaften führten und notwendige Grundlagen aus der Mathematik legten. Das Gesamtpaket und die Strukturierung haben sich in inhaltlicher sowie organisatorischer Hinsicht als erfolgreich erwiesen. Für die in beiden Pilotkohorten teilnehmenden Studentinnen bedeutete die Teilnahme an den Maßnahmen eine große zeitliche Parallelbelastung. Wichtig für die durchgängige Teilnahme aller beteiligten Studentinnen war, dass die Terminabstimmungen für die Lehrangebote weitgehend mit den Teilnehmerinnen erfolgten.
Inhaltliches Niveau und Orientierung auf berufliche Perspektiven
Technische Inhalte kommen in den (deutschlandweit wenigen) fächerübergreifenden Lehrangeboten nicht nur häufig zu kurz, sondern haben kein adäquates Niveau, um die beruflichen Perspektiven nennenswert zu erweitern. Daher wurden in Kooperation mit den beteiligten Studiengängen jeweils Einführungsveranstaltungen konzipiert.
Die Informatik-Einführung wurde sehr gut angenommen und im zweiten Durchgang wiederholt. Dies verdeutlichte, wie die Digitalisierung in (fast) allen Studiengängen als Studien-, Forschungs- und Berufsfeld von den Teilnehmerinnen wahrgenommen wurde. Bei den Ingenieurwissenschaften mit dem an der Universität Bremen angebotenen Studiengang ‘Produktionstechnik – Maschinenbau&Verfahrenstechnik’ wurden bei den Teilnehmerinnen die fehlenden Vorstellungen zu interdisziplinären Verbindungen und zu Berufsfeldern erkennbar, woraus sich ein gesteigerter Orientierungsbedarf für zukünftige Maßnahmen ergibt. Folglich erschien hier eine andere Herangehensweise als im Informatikbereich notwendig, die durch mehr „Hands-on“-Angebote und klar erkennbare Inter- oder Transdisziplinarität charakterisiert sein musste. Daher wurde im zweiten Kohortenrahmen mehr Bezug auf die Potenziale der Ingenieurinnen-Sommeruni mehr genommen und der Schwerpunkt „Nachhaltigkeit und Technik“ in das Fachprogramm aufgenommen.
Stärkung von Selbstvertrauen im Umgang mit mathematischen Themen
Als absolut unerlässliches und für die Teilnehmerinnen überaus bedeutsames Angebot haben sich die jeweils fünftägigen Blockveranstaltungen zu Grundlagen der Mathematik erwiesen. Die Studentinnen konnten an einer individuellen Auffrischung ihrer mathematischen Kenntnissen arbeiten. Ganz wesentlich und in dieser Bedeutung vom Verbundprojekt eher unerwartet war dabei die Stärkung von Selbstvertrauen im Umgang mit mathematischen Inhalten über einen persönlichen Austausch der Studentinnen mit den Dozent*innen sowie die strukturierte Heranführung an Selbst-Lern-Tools. Die wissenschaftlich breit nachgewiesenen Geschlechterstereotype im schulischen Mathematikunterricht wirken weiter in die Studienzeit; hier kann die bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Zugang zum Fach oder zu erlebten Lernsituationen Hürden abbauen sowie Engagement und Raum für neue Lernziele frei legen. Einigen Teilnehmerinnen wurde im Anschluss empfohlen, vor der Aufnahme des Technikstudiums noch einen mathematischen Vorkurs zu besuchen, die an vielen Universitäten jeweils vor Studienbeginn angeboten werden.
Orientierung für fundierte Entscheidungen
Der Maßnahmenbereich „Orientierung und Persönlichkeitsbildung“ bestand aus einem Kick-Off sowie einer Vertiefung. Ziel war, die Chancen, aber auch Herausforderungen durch den Erwerb von Technikkompetenzen für die Teilnehmerinnen zu klären und ihre Entscheidungen für ein Zusatz- oder Ergänzungsstudium zu festigen. Im Kick-Off stand die Orientierung innerhalb der Angebote des Verbundvorhabens mit der Erarbeitung der eigenen Interessen und Bedürfnisse, der im aktuellen Studium erworbenen Kernkompetenzen sowie der Chancen und Herausforderungen beim Erwerb von Technikkompetenzen und der dadurch gewonnenen Interdisziplinarität im Fokus. Im Vertiefungsworkshop wurde die Gestaltung des eigenen Berufs- und Lebenswegs in heterogener Berufsumgebung sowie die Gestaltung des Studiums hinsichtlich Diversifizierung – Ergänzung – Wechsel thematisiert.
Bei der Berufsfelderkundung kamen zahlreiche Erfahrungen aus langjährigen Aktivitäten der Hamburger und Bremer Gleichstellungsakteurinnen zum Tragen. Neben Begegnungen mit Fachfrauen, die über einen vergleichbaren Studien- oder/und Berufsweg berichteten, fanden zugleich Besichtigungen von Forschungslaboren des Fachbereichs Informatik in der Universität Hamburg sowie des Fachbereichs Produktionstechnik in der Universität Bremen statt.
Eine deutliche Hürde stellte für viele Teilnehmerinnen die absehbare finanzielle Belastung für ein Zweitstudium, u. A. durch hohe Lebenshaltungskosten und Studiengebühren, dar. Auch war die Zulassung zum Informatikstudium an der Universität Hamburg durch einen Numerus Clausus beschränkt, so dass dort der Studienplatz nicht für alle sicher sein konnte.
Organisatorische Hürden und neue Optionen in Universitäten
Für die Kommunikation mit den Studierenden ihrer Studiengänge zeigten sich zwischen der Universität Bremen und der Universität Hamburg deutliche Unterschiede in informationstechnischer Hinsicht, um alle Studentinnen per E-Mail zu erreichen. Insofern mussten verschiedene Wege zur Ansprache von Studentinnen nicht-technischer Fächer gewählt werden.
Die Vermittlungsstrukturen, die im Projekt entwickelt wurden, konnten jeweils im Sommersemester 2018 und 2019 mit Pilotgruppen von Studentinnen aus nicht-technischen Fächern der Universität Bremen und der Universität Hamburg praktisch erprobt werden. Im Verlaufe des Projekts sollten darüber hinaus Hochschulen zur Kooperation gewonnen werden und weitere Hochschulen im Nordverbund unterstützten die Ansprache von Studentinnen. Ebenso wurden die Verteiler der Bremer Sommeruniversitäten (darunter viele Multiplikator*innen an Hochschulen) genutzt. Im Ergebnis muss festgehalten werden, dass nur Studentinnen der beiden Universitäten des Verbundprojekts an den semesterbegleitenden Kursen teilnahmen – vermutlich war ein zusätzlicher Reiseaufwand für andere Interessentinnen nicht leistbar.
Bemerkenswert war, dass allein durch die Ankündigung des Fachwechsel-Programms seitens des Verbundprojekts auch die allgemeine Nachfrage der nicht-technischen Studentinnen an der Option eines Fachwechsel hin zu Technikfeldern stieg. Vielfach wurde vom äußerst positiv aufgenommenen Erstaunen der Studentinnen berichtet, dass von einer Universität tatsächlich diese Unterstützung für einen Wechsel des Studienfachs und damit für einen erfolgreichen Studien- und Berufsweg ihrer Studierenden bestünde. Wie Hochschulen diese von Studierenden offenbar erwartete Verantwortung zukünftig ausfüllen, könnte möglicherweise bei veränderten Rahmenbedingungen des Hochschulpakts von Bund und Ländern sichtbar werden.
Der tatsächliche Entscheidungsweg von Pilotstudentinnen
Entsprechend der Zusammenarbeit mit zwei Pilotkohorten wird der tatsächliche Entscheidungsweg der Studentinnen in der folgenden Abbildung dargestellt.
Zusammenfassend konnten aus den im Verbundprojekt durchgeführten Arbeiten zur Entwicklung von Vermittlungsstrukturen für Studentinnen nicht-technischer Fächer sowie zu Begleitmaßnahmen für Studienfachwechsel oder Ergänzungsstudium wichtige Elemente für die Konzeption einer Beratungsstruktur für technische Studiengänge aufgenommen werden, die Studentinnen von der Entscheidungsfindung bis zum Einstieg in ein technisches Studienfach unterstützen.